Die schnelle Wiederbelebung der Mafia als Organisation nach dem 2. Weltkrieg zeigte jedoch, daß die Mafia mehr war als
nur eine kriminelle Organisation, die auf Kosten der Bevölkerung schmarotzt.
Als die Aliierten 1943 Sizilien besetzen wollten, sicherten sie sich vorher die Zusammenarbeit mit den alten
italienischen Mafiaführern und italienischstämmigen US-Mafiosi wie Luciano, die dank ihres Einflusses zur weitgehend
reibungslosen Eroberung der Insel beitrugen.
Die alliierte Besatzungsmacht stützte sich in der Folgezeit bei der
Verwaltung Siziliens auf Antifaschisten und da die Mafiosi auch als Verfolgte galten und zudem für Ordnung sorgen
konnten errangen sie erneut Machtpositionen und öffentliche Ämter. Mit Hilfe der Mafiosi konnten die Amerikaner die
Kosten für die verwaltung der Insel beträchtlich senken, gerade in Zeiten, in denen zahlreiche Bauernaufstände
aufflackerten sowie Gewalt und Gesetzlosigkeit beträchtlich zunahmen.
Don Calo Vizzini war der herausragende Mafioso bei der Zusammenarbeit mit den Sizilianern. Als oberster Mafioso
Siziliens wurde er während des Faschismus zwar zu fünf Jahren Haft verurteilt, die jedoch aufgrund seiner guten
Beziehungen wieder aufgehoben wurde. Außerdem konnte er als Bürgermeister von Villalba amtieren. Nach der Landung der
Allierten legte Vizzini eine Liste mit "unverdächtigen Männern und Antifaschisten" vor, die für Ämterbesetzungen in
Fragen kamen. Wegen seiner Verdienste für die Aliierten wurde er sogar zum Ehrenoberst der US-Armee ernannt.
Nach dem Krieg gewannen separatistische Kräfte in Sizilien stark an Boden, begleitet von zahlreichen Bauernaufständen.
Gegen die Bauernorganisatoren ging die Mafia aktiv vor, da der Schutz der Latifundien durch die Unruhen nicht mehr
gewährleistet werden konnte und damit die Abschreckung der Mafia abzunehmen drohte. Der Separatistenbewegung hingegen
standen die meisten Mafiaführer anfangs positiv gegenüber, aber als die italienische Regierung 1946 eine weitgehende
Verwaltungsautonomie für Sizilien anbot und zahlreiche Kompetenzen des Zentralstaates an die Region übertrug, wechselte
die Mafia die Seite und half bei der Bekämpfung der radikalen Separatistenbewegung um Giuliani und verbündete sich vor
Ort mit den lokalen Politikern der DC-Partei.
Neuorientierung der Mafia
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die traditionelle Mafia von einer neuen Mafia abgelöst, die sich an der amerikanischen
Mafia orientierte, für die der schnelle Reichtum im Vordergrund stand. Ausgelöst wurde diese Transformation durch die
rapiden Gesellschaftsveränderungen im Nachkriegsitalien.
In großer Zahl nutzten Sizilianer die durch den Wirtschaftsboom entstehenden neuen Arbeitsmöglichkeiten im Norden
Italiens und in Mitteleuropa und verließen ihre Heimat. Diese Arbeitsperspektiven entzog die Bauern zunehmend aus der
Abhängigkeit von Großgrundbesitzern, deren Bedeutung zudem durch die Bodenreform abnahm. Für die Mafia ist dabei
relevant, daß sie die alleinige Verfügung über die Produktionsmittel verlor und damit einen ihrer traditionellen
Stützpfeiler.
Einen Ausweg in dieser Situation bot eine Umorientierung auf städtische Betätigungsfelder wie den boomenden
Bausektor und die Abzweigung oder Aneignung von Entwicklungsgelder der Zentralregierung in Rom.
Zunehmende staatliche Subventionen für den Mezzogiorno und weitere staatliche Abschröpfungsmöglichkeiten bedingten
dabei eine stärkere Institutionalisierung der Mafiaorganisation und eine Stärkung der instrumentellen Freundschaften zu
den öffentlichen Entscheidungsträgern, die über Aufträge und Großprojekte verfügen konnten.
Das Instrument für die Verteilung großer Geldsummen in den Süden war die 1950 gegründete Entwicklungsfördergesellschaft
für den Aufbau des Mezzogiorno (SÜDKASSE), die sich die Subventionierung der Wirtschaftszweige und die
Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zum Ziele gesetzt hatte. .
Von 1950- 1984 flossen über diesen Kanal 244 Mrd DM
aus der Staatskasse in den Süden: Der Großteil dieser Gelder wurden in Infrastrukturprojekte investiert. 1,1 Mio ha
wurden urbar gemacht, 450 000 ha Wald aufgeforstet, 18 000 km Straßen gebaut , 22 000 km Straßen modernisiert, 22 800
km Wasserleitungen, 60 000 km Abwasserkanäle und 40 000 km Stromleitungen gelegt, 1600 Kindergärten / Grundschulen und
244 Kleinkrankenhäuser gebaut. 1984 hatte die Südkasse allerdings 23 Mrd DM Schulden , da die Projekte 70% teurer als
geplant waren und wurde von der neuen Fördergesellschaft AGENSUD abgelöst.
Die Milliarden der Südkasse waren das Hauptreservoir für die Symbiose von Mafia und Politik, denn aufgrund der
dezentralen Vergabe ohne übergreifende Planung an private Unternehmer vor Ort, konnten einflußreiche Politiker auf
diese Weise ihr Klientelnetz bedienen. Zudem lief der Geldfluß über die sizilianischen Banken, die keinerlei Kontrolle
durch die Zentralbank unterlagen, so daß dem Mißbrauch der Gelder alle Türen geöffnet waren.
Die Verfügung über die Hilfsgelder sowie die Vergabe und Übernahme öffentlicher Bauaufträge waren schließlich in den
50/60er Jahre die lukrativsten Geschäfte in Sizilien. Der Bauboom der Nachkriegszeit beschränkte sich jedoch
nicht nur auf die staatlichen Infrastrukturmaßnahmen, sondern erstreckte sich gerade auch auf den Bereich des
Wohnungsbaus und der Sanierung ganzer Stadtteile, besonders in Palermo.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der privilegierte Zugang zu öffentlichen Geldern die primäre Machtressource
wurde und nicht mehr die Gewalt, die bei der traditionellen Mafia den Zugang zu den Machtfaktoren und die
Legitimität bewirkten. Die Gewalt als solche blieb aber als Mittel zur negativen Sanktionierung erhalten.
Mit dieser steigenden Orientiertung auf den schnellen Reichtum nahm allerdings auch die Kongruenz mafiosen Verhaltens
mit den subkulturellen Werten ab.
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